Die Vertreter der Evangelisch-lutherischen und der Katholischen Kirche in Region und Sprengel Hannover fordern in einer Gemeinsamen Erklärung zur aktuellen Flüchtlingsdebatte alle Seiten zur Besonnenheit und Achtung der Würde jedes Einzelnen auf. Dr. Ingrid Spieckermann für den Evangelisch-lutherischen Sprengel Hannover und Propst Martin Tenge für die Katholische Kirche in der Region Hannover sehen dabei die Kirchen und ihre Mitglieder in der besonderen Verantwortung, angesichts des Ausmaßes der Aufgabe zum langen Atem und zur Nüchternheit in der gemeinsamen Aufgabe der Integration der Flüchtlinge beizutragen:
In den vergangenen Wochen wurde vermehrt darüber berichtet, dass sich die Stimmung in unserem Land gegenüber Flüchtlingen verändert hat. Es ist die Rede von Straftaten, die sie begehen. Es ist die Rede von der Missachtung unserer Werte durch sie. Vorschläge, wie die als bedrohlich empfundene Situation unter Kontrolle gebracht werden sollte, überschlagen sich. Gleichzeitig wird Großartiges in der Zusammenarbeit mit den Flüchtlingen geleistet. Dies darf in der aktuellen Debatte nicht klein gemacht werden. Die Bereitschaft, sich einzubringen und zu engagieren, ist in der Bevölkerung nach wie vor hoch. Diese Bereitschaft muss noch stärker gestützt und wahrgenommen werden von Kirchen, Politik und Gesellschaft, damit sie nicht zerstört wird durch diejenigen, die Ängste schüren und eigennützige politische Interessen verfolgen.
Nur wenn wir in der jetzt aufkommenden Diskussion über Flüchtlinge differenziert das Individuum in den Blick nehmen und nicht pauschalieren, wird die Würde des einzelnen Menschen gewahrt. Es darf nicht vergessen werden, dass die meisten Flüchtlinge aus Not und Leid heraus den lebensgefährlichen Weg zu uns auf sich nehmen und Deutschland selbst auf vielfältige Weise in die Konflikte im Nahen Osten verstrickt ist. Die zu uns kommenden Menschen erhoffen sich hier nicht eine bessere Zukunft. Sie erhoffen sich, überhaupt eine Zukunft zu haben. Dass es unter ihnen auch Menschen mit kriminellen Absichten gibt, kann nicht bestritten werden. Allerdings diskreditiert dies nicht die Flüchtlinge, die hier in Deutschland nach Sicherheit suchen.
Auf die hohe Zahl an Flüchtlingen war unser Land nicht vorbereitet – es fehlt an Kapazitäten in der Unterbringung, der Verwaltung, bei der Polizei und im sozialen Bereich. Viele der heutigen Probleme wurzeln in dieser Tatsache. Daher dürfen die Probleme nicht allein den Flüchtlingen angelastet werden. Es ist die Aufgabe des Staates, das in Deutschland geltende Recht flächendeckend durchzusetzen. Als Teil der Gesellschaft erwarten wir von der Polizei und den Gerichten, dass sie entsprechend ausgestattet sind, um Regelverletzungen zu verhindern und strafrechtlich zu verfolgen. Und als Teil der Gesellschaft dürfen wir von den Flüchtlingen erwarten, dass sie sich an die hier geltenden Regeln halten.
Die Integration der Flüchtlinge ist nicht nur aufgrund der Quantität eine große Herausforderung für unsere Gesellschaft, sie ist es auch qualitativ. Die Werte und Regeln unseres Grundgesetzes werden nicht automatisch von den Flüchtlingen übernommen, wenn sie Deutschland betreten. Sie müssen die Achtung vor der Würde jedes Menschen – egal welchen Geschlechts, egal welcher Religion und Hautfarbe – intensiv vermittelt bekommen, damit die kulturelle Verschiedenheit von ihnen verstanden wird und wir ein versöhntes Miteinander in unserer Gesellschaft leben können.
Als Kirchen ist es unsere Aufgabe und liegt in unserer Verantwortung, den zu uns geflohenen Menschen ebendiese Würde und Achtung entgegen zu bringen und ihnen Möglichkeiten zu geben, unsere Gesellschaft positiv mit zu gestalten. Die Integration der Flüchtlinge wird ein Langzeitprojekt werden, an dem wir uns als Kirchen mit unseren Wohlfahrtsverbänden und Gemeinden aktiv beteiligen. Wir sind uns aufgrund der großen Herausforderungen bewusst, dass es auch von unserer Seite aus Versäumnisse und Fehler geben kann. Diese Probleme nüchtern und ohne Pathos zu analysieren und zu lösen, ist ein Teil der christlichen Nächstenliebe und unser ureigener Auftrag.
Religion kann oftmals Auslöser von Konflikten sein oder dazu missbraucht werden. Aber Religion kann auch eine stabilisierende und integrationsfördernde Kraft sein. Die bisher guten und intensiven Erfahrungen des interreligiösen Dialoges in Hannover haben uns gezeigt, dass ein versöhntes Leben in Verschiedenheit möglich ist. Wir als Religionsgemeinschaften müssen den Flüchtlingen in konkreten Begegnungen zeigen, wie wir unser Miteinander in Frieden leben.
Darum möchten wir unsere Kirchenmitglieder, alle anderen Menschen in Stadt und Region Hannover und auch die Flüchtlinge selbst aufrufen: Nutzen Sie den persönlichen Kontakt als wesentliches Instrument der Integration. Begegnen Sie einander mit Achtung und Würde. Sehen Sie nicht die Masse, sondern den einzelnen Menschen.